„American Angst“ – die Welt von Mitteleuropa aus

Was Hähme war wird Mitleid sein.

Was haben wir nicht alles über „den“ Amerikaner an sich, als Klischee und Archetyp des egozentrierten, eher mindergebildeten und in jedem Falle bis an die Zähne waffenstarrenden Menschen nachgedacht, gerätselt, geurteilt, gelacht. Wie haben wir die Cowboy-Mentalität republikanischer Präsidenten wie Reagan und der Mitglieder des Bush-Clans geschimpft. Wie einig und sogar stolz fühlten wir uns, als Bush jr. uns als das „alte Europa“ vermeidlich zu beschimpfen versuchte und uns unserer viel zu wenig aggressiven Haltung bezichtigte. Ich selber erinnere mich übrigens an jenen Moment, als den Punkt, da die meisten aus meinem Umfeld, mich eingeschlossen, ihren Antiamerikanismus, sowie auch das sich Besinnen auf die eigenen Stärken und ethischen Ansichten eines geeinten Europas, auf dem Höhepunkt sahen. Doch das sei hier nur deshalb nebenbei kurz erwähnt, da dieses Gefühl der moralischen Überlegenheit gegenüber einer – von Mitteleuropa aus gesehen – durchaus zum billigen Revanchismus neigenden Nation mit Weltvormachtsstellungsanspruch, die ihren Zenit vermutlich seit einigen Jahren hinter sich gelassen hat, niemals größer war, als in diesen Tagen, nach Beginn des zweiten Irak-Krieges.

Überhaupt: Krieg. Faktischerweise haben die Amerikaner und ihre Alliierten gerade Deutschland mit Hilfe des Eingreifens in den von Nazideutschland verschuldeten Krieg, nicht nur von der furchtbaren Katastrophe eines Greuel- und Verdummungsregimes befreit, dazu Europa und die Welt noch vor viel mehr unnötigen Opfern bewahrt, sondern dem Nachkrigsdeutschland auch zu wirtschaftlicher Stärke und sozialem Wohlstand verholfen, wenn auch, das sei aber verziehen, natürlich nicht ohne eigene Interessen. Mitunter ist dieser Umstand auch der Grund, dass ich das Amerika der Jetztzeit nicht schlicht sich selbst überlassen, mild lächelnd zusehen möchte, wie diese stets auf sich bezogene Nation langsam ausbrennt und den Weg aller irdischen Superimperien geht. Es geht mir um Mitleid.

Paradoxerweise oder eben als direkte Konsequenz aus der kriegerischen Befreiung aus dem Krieg haben gerade die Mitteleuropäer, als – böse gesagt – letztendliche wirtschaftliche Kriegsgewinnler, eine Art Kriegs-Getöse-Intoleranz entwickelt – zum Glück, möchte ich hinzufügen. Diese darf man nicht wirklich mit einem absoluten und finaldefensiven Pazifismus verwechseln (unterschlagen sei hier allerdings Westerwelles jämmerliche Libyen-Enthaltung 2011), sondern sollte stattdessen verstehen, dass Europas innerer Frieden seit dem Ende des zweiten Weltkriegs durch eine (für viele inzwischen zu schnell) gewachsene politische Einheit – ja, auch der Euro ist eines der Instrumente für diese, liebe Euro-Kritiker – gewährleistet wird. Über all die Jahre und wechselnde Regierungen in den unterschiedlichen Ländern Kern-Europas hinweg hat sich, auch vor dem immerpräsenten Hintergrundes der verheerenden Kriege des 20. Jahrhunderts, somit eine Art Psychologie des friedfertigen Intervenierens entwickelt. Und der sanfte Zwang zu Kooperation und Einheit hat den Europäern meiner Ansicht sehr gut getan und ist ein Garant für ein dauerhaft friedfertiges und zielgerichtetes Zusammenleben, steht aber eben auch – neben all der nationalen Vorurteile die es selbstverständlich gibt und immer geben wird – für eine gewachsene Kultur der Diskussion untereinander. Das Wort ist hier eben gewichtiger, als das Schwert.

Nato hin oder her, die Vereinigten Staaten hatten und haben einen solchen ersatzfamiliären Verbund (inklusive der familiär üblichen Streitereien selbstverständlich), ein diskutativ die Inhalte überprüfendes Korrektiv nicht. Die Amerikaner sind seit Generationen, gerade auch seit jener Zeit, da sie sich als Weltmacht sahen, initiierten und dieser Einstellung entsprechend handelten, der gefühlte Mittelpunkt, nicht nur ihrer, sondern auch der ganzen Welt überhaupt. Selbst politische Partner werden zwar angehört, aber äußerst selten wirklich ernst genommen, könnte eine – im schlimmsten Fall kritische – Meinung von außen, doch die eigene Integrität bezogen auf das Wohl Amerikas verwässern und somit gefährden. Dies ist beim amerikanischen Bürger eine mit Sicherheit noch weitaus ausgeprägtere Einstellung, als bei der jeweiligen Administration.

Mit einiger Überheblichkeit wird den Amerikanern und ihren Urängsten von Wehrlosigkeit und militärischer Unterlegenheit aktuell angesichts der Verkleinerungspläne der Obama-Administration der absolut überteuerten US-Armee seitens der Europäer begegnet. Gerade die Konservativen in den USA, ich verorte hier mal besonders die küstenfernen Regionen – vom Bible-Belt möchte ich lieber erst gar nicht anfangen – als Epizentren der Stammtischsorge, haben regelrecht Angst (war das nicht mal ein deutsches Copyright?) vor einer wie auch immer gearteten Abrüstung und ergehen sich in Weltuntergangsfantasien, wenn Amerika nicht mehr in der Lage ist, zwei Kriege gleichzeitig, wohlgemerkt fern der Heimat, zu führen. Dabei sind auch Obamas Demokraten nicht zum unpopulären Pazifismus oder gar einer Art Empeacementpolitik übergetreten, sondern werden stattdessen von rein wirtschaftlichen Sorgen und Bedenken gelenkt. Für den von uns im Klischee gemalten Durchschnittsamerikaner mutet dieses Vorhaben ähnlich bedrohlich an, wie seine eigene Waffen reduzieren oder gar abgeben zu müssen.

Klar ist es verzwickt, wenn man sich jahrelang zur Wahrung der eigenen wirtschaftlichen Interessen zum internationalen staatlich gelenkten und per Bürgermeinung und Selbstverständnis legitimierten Aggressor Nummer eins und somit zur Zielscheibe für ebensolchen Revanchismus gemacht hat, den man im Prinzip ja selber stets vertreten und praktiziert hat. Im bibeltreuen Amerika gilt schließlich seit jeher das Westernklischee der 1:1-Vergeltung, des Auge-um-Auge-Prinzips. Und das auch auf international-politischer Bühne. Die Ereignisse der letzten zwei Jahrzehnte, sowie die politischen Umbrüche seit Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs und dem Ende des kalten Krieges haben natürlich auch in den USA zu einem Umdenken geführt. Allerdings offensichtlich nicht zu jenem notwendigen selbstreflektiven, sondern eher zu einer weiteren Abschottung von der Welt im nach wie vor elitär gesteuerten kollektiven Denken, bei gleichzeitigem Beibehalten des Anspruchs, die Weltmacht überhaupt zu sein. Ignoriert werden dabei recht fahrlässig die Tatsachen der wachsenden Weltmächte China und Indien, das erwachende Selbstbewusstsein der bislang so (sehr wohlwollend begleitet) erfolgreich unterdrückten arabischen Völker oder auch das geschichtlich stets wiederauftretende Phänomen einer imperialen Macht, die immer dann unterzugehen begann, wenn die Militärausgaben prozentual zum Bruttosozialprodukt (auch wenn das nun wirklich nicht schon zu Urzeiten erhoben wurde) in derart exorbitante Höhen schnellten, wie es in den USA derzeit der Fall ist.

Das aus europäischer Sicht Spannende an der aufkommenden kollektiven Angst der Amerikaner vor dem Verlust einer weltweiten Vormachtstellung ist, dass diese völlig unbegründet und unnötig wäre, würden sie sich von diesem inneren Teufel befreien können, der die Bildung und die Aufrechterhaltung eines eigenen Selbstbewusstseins nur angesichts weltweiter Achtung (und sei sie ausgelöst durch Angst vor der Macht des Stärkeren) und Wirkungskreise voraussetzt. Paradoxerweise definiert sich die amerikanische Bevölkerung scheinbar in der Tat über ihren Status in der Welt, welche sie andererseits absolut nicht interessiert, da man selber ja den Mittelpunkt derselben bei sich verortet hat. Amerika ist eines der ersten Paradebeispiele für eine durchglobalisierte Welt, der US-Normalbürger will aber andererseits mit dieser nicht allzu viel zu tun haben und hält sie allenfalls noch für wild, fremd und gefährlich. Das Ganze gleicht dem Dilemma einer Diva, die mit sich und ihren eigenen Problemen sowie der innerlichen Leere nicht klarkommt, das alles aber erfolgreich verdrängen kann, solange die Boulevard-Presse noch Titelstories über sie bringt. Eine Nation, für die eine soziale Krankenversicherung bedrohlicher zu sein scheint, als der Kommunismus zu Zeiten des Kalten Krieges, kann gar nicht dazu im Stande sein, sich nicht als Global Player erster Instanz zu sehen, sondern sich um dringende innenpolitische Belange zu kümmern. Das allgemeine Bewusstsein ist ein durchaus gewachsenes, jedoch kaum fähig zu einer Richtungsänderung des Denkens. Zu einem Besinnen auf sich selbst und damit auf das wirkliche Allgemeinwohl der eigenen Bevölkerung. Und so kommt es zu einer äußerst spannenden Feststellung: Das Musterland des Egoismus muss lernen, sich auf sich selbst zu besinnen. Damit wären schon Individuen mitunter überfordert.

Wenn US-Amerikaner in der Lage wären, sich selber weniger wichtig zu nehmen, möchte ich unterstellen,wären sie zum einen wesentlich weniger ängstlich, zum anderen angenehmere, weil weniger überhebliche Gesprächspartner auf politischer Ebene. Man kann nun weder die erlebte Geschichte, noch das anerzogene Denken von heute auf morgen ändern, aber wären Amerikaner in der Lage einmal mit den Augen militärisch weit weniger aggressiv aufgestellten, dafür politisch wesentlich besser und loyaler vernetzter Staaten auf die Welt zu schauen, wären sie von ihrer aktuellen „American-Angst“ um ein gutes Stück entlastet, und könnten dem vorbeugen, was im Falle des Weiterfahren ihres bisherigen expansiven, wirtschaftlichen und militärischen Besitzstand wahrenden Kurses unweigerlich bevorsteht: der noch tieferen Spaltung der ohnehin fatal auseinander dividierten sozialen Schichten, der Verarmung eines Großteils der Bevölkerung, dem Fall in die vielleicht nicht sofortige politische, wohl aber moralische, und dank Guantanamo und ähnlichen unumkehrbaren Verfehlungen langsam auch völkerrechtliche Isolation.

Auch wenn Obamas militärischer Schritt in Richtung der angestrebten Verkleinerung der US-Streitkräfte nicht der Vernunft entspringt, ist er dennoch unterbewusst ein Schritt in die richtige, psychologische Richtung – den nach wie vor perversen und völkerrechtlich durch nichts gedeckten Hang zum Einsatz von unbemannten Dronen zur weltweit praktizierten Tötung „Verdächtiger“ jetzt einmal ganz außen vor gelassen. Der inzwischen „kranke Mann von Chesapeake Bay“ wurde zwar laut Zitat „mit dem Gewehr in der Hand geboren“, nun wird es aber Zeit, der Vernunft das Wort zu erteilen. Auch wenn in Zeiten der grenzdebilen und jegliche Vernunft verneinenden Tea-Party-Bewegung, mit in der Tat sogar wohlwollend nur als dumm zu bezeichnenden Köpfen an der Spitze, das Gegenteil zu befürchten ist, wünsche ich Amerika eine baldige Kehrtwende, weg vom angstgesteuerten Kurs eines waidwund um sich beißenden Hundes, der noch nicht verstanden hat, dass die Zeiten, dass die ganze Welt sich geändert haben, hin zu einem verlässlichen Partner, dessen fragwürdiges Ansehen in der Welt nicht mit Waffengewalt erzwungen werden muss, sondern auf wahren Leistungen und Vernunft beruht.

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