Man möchte einfach helfen - oder die Fremde im Zug

Ihr kennt das - oh Gott, ich fange Blogs schon mit "Ihr kennt das" an, ich twittere eindeutig zu viel. Aber dennoch, vielleicht kennt Ihr das.

Ihr sitzt in der U-Bahn, durch die auf maximalsten Anschlag - also 11 - laufenden Kopfhörer dringt Eure Lieblingsmusik an Euer Hirn, Euer Herz und einfach überall hin. Ihr seid glücklich durchdrungen und Euer debiles Grinsen wird körperlich begleitet von steil aufgestellten Härchen am Unterarm.

Nichts könnte gerade schöner sein und Ihr genießt jede Zeile klassenkämpferischer Lyrik (gut, vielleicht kennt Ihr das jetzt auch mit Texten a la David Guetta ... wenn der denn Texte hat, die diese Bezeichnung verdienen, aber ich schweife ab), Euer Fuß wippt unkontrolliert im Takt und plötzlich schaut Ihr aus einem unbemerkten Impuls heraus auf. Ihr schaut in das Gesicht der Euch gegenübersitzenden Frau, Mitte 50, vielleicht etwas älter. Natürlich schaut Ihr sofort wieder woanders hin, aber irgendetwas in ihrem Blick hat Euch irgendetwas in die Retina geschossen, was Euch nicht loslässt.

Von jetzt auf gleich sind Eure Mundwinkel nicht mehr die eines Schalks an Vatertag, sondern ziehen sich betroffen in sich selbst zurück. Ihr wisst nicht was es war, Ihr wisst nicht genau warum, aber jenseits allen Denkens wagt Ihr einen zweiten Blick. Ihr versucht die Augen unauffällig durch den Wagon schweifen zu lassen, nur um dann wie beiläufig über ihr Gesicht zu huschen. Doch aus dem Huschen wird nichts. Dein Blick verharrt auf ihrem Gesicht. Sie schaut nicht zurück. Sie sieht irgendetwas in der Ferne, dass hier ansonsten niemand zu sehen in der Lage ist. Und jetzt entdeckst Du auch, was Dich so irritiert, so gefesselt, Dich gezwungen hat, noch einmal hinzusehen. Ihr Blick offenbart eine unglaubliche Traurigkeit.

Eine Traurigkeit, die Dich durchdringt. Dich urplötzlich einfängt. Du hast keinerlei Ahnung, was diese Frau gerade durchmacht. Oder durchgemacht hat. Du kennst weder Ihr Schicksal noch sonst irgendetwas, nicht ein Detail aus ihrem Leben. Doch Du bist sofort gefangen in einer Art Anteilnahme, Du empfindest ... ja, Du empfindest vielleicht kein Mitleid, wie auch, ohne jegliches Wissen, aber Du bist durchdrungen von einer Dich überrollenen Woge an Mitgefühl.

Und Du hast jegliche Scheu verloren, sie anzusehen, wenn auch auf weniger voyeuristische als vielmehr hypnotisierte Weise, und Du spürst, Du fühlst Ihr Leid, Du ... leidest selber. Urplötzlich ist Dein Hochgefühl verschwunden, alle Gedanken, die Dich zuvor bestimmten sind hinfort gespült. Aber Du fühlst Dich nicht betrogen um dieses Gefühl, Du möchtest helfen. Und weil Du nicht helfen kannst, nimmst Du die Kopfhörer aus den Ohren und schaltest die Musik aus, die Dich bislang so beschwingt gegen die restliche, ach so böse Welt in Stellung gebracht hat. Deine Gedanken kreisen und konstruieren alle möglichen Szenarien, was Ihr passiert sein könnte. Ganze Leben schießen an Deinem inneren Auge vorbei.

Du nimmst gerade noch wahr, dass Deine Station gekommen ist und Du aussteigen musst. Und Du steigst aus. Irritiert und gedankenschwer.

Du schüttelst wie im Comic den Kopf, wie um die Gedanken abzuschütteln, aber es funktioniert nicht.
Nach ein paar Schritten greifst Du wie in Trance zu den heimatlos an Dir herunter baumelnden Kopfhörern und steckst sie Dir in die Ohren. Du zögerst noch ein paar Sekunden, ein paar Schritte, die Bahn fährt weiter und Du drehst Dich nicht um, aber Du weißt, dass sie weiter leidet.

Du schaltest die Musik wieder ein. Es geht genau an der Stelle weiter, an der Du nur kurz zuvor gestoppt hast. Deine Lieblingsmusik erfüllt wieder Dein Ohr.
Doch Deine Gedanken sind nicht bei ihr.

Vielleicht kennt Ihr das ...

(Gewidmet der Fremden in der U-Bahn mit dem aufrichtigen Wunsch, dass es ihr irgendwann wieder besser gehen möge.)

Eine Runde Instagramm: Rheingau

Eine Runde Instagram.
#Rheingau #Assmannshausen #Rüdesheim #Germania

Erinnerungen an ein den Akku wieder aufladendes Wochenende mit wundervollen Freunden.


Opa Trommler erzählt vom Krieg

Ist wohl auch so eine Alterserscheinung, dass man an gewissen persönlichen Umbrüchen zurückblickt und vor sich hin resümiert.Jetzt da wir mit unserer Band Porter nach über 10 Jahren aus unserem langjährigen Proberaum ausziehen, beenden wir damit auch eine Ära.

Und als wir einmal mehr so darüber raisonierten, dass Porter für alle Bandmitglieder die Band ist, in der wir in unserer Musikerkarriere am längsten gespielt haben, sprangen wir Jahr um Jahr zurück in unserer teils gemeinsamen Vergangenheit. Musiker, Freunde, vergangene Bands, eigene wie fremde, tauchten vor unserem geistigen Auge auf und plötzlich waren sie alle wieder da. Die erlebten Geschichten rund um wahrhaft verrückte Auftritte, legendäre Parties, einmalige Menschen, die man getroffen, mit denen man Musik gemacht, eine Bühne oder einen verwegenen Traum geteilt, die man ins Herz geschlossen und dennoch oftmals so rasch wieder verloren hat.

Das Gute an der Erinnerung an meine musikalische Vergangenheit ist, dass es schlicht nichts gibt, was ich aus heutiger Sicht wirklich bereuen würde. Klar würde man - wenn man denn könnte - an sehr vielen Stellen andere Entscheidungen treffen. Denkt man. Stimmt aber nicht, denn wir haben alles was geschah aus der damaligen Überzeugung heraus gemacht. Und auch wenn der Pathos hier aus den Leerzeichen trieft, ich bin verdammt stolz auf das, was wir geschafft haben. Wäre auch traurig wenn nicht. Schließlich haben wir zeitmusikerlebens immer Herzblut, Arbeitsschweiß und Tränen ins verdammte Feuer des Rock'n'Roll gegossen. Nicht zuletzt all die Jahre an Zeit und Unmengen an Geld, welches wir in barer Münze zurückzubekommen niemals die Erwartung hatten. Selbiges tun wir auch heute noch und werden es wohl immer machen, was mich nicht weniger froh stimmt, als das Erlebte. Bezeichnenderweise erreicht mich inmitten der Arbeit eine Mail meines Weggefährten und Gitarristen Frank, mit dem ich nun seit 23 Jahren Musik mache. Und ohne den Inhalt dieser Mail hier kundzutun darf ich sagen, dass sich seine Gefühle mit denen in den letzten Zeilen hier absolut decken.

Wir sind niemals, mit welcher Band auch immer aus der Independent-Ecke heraus gekommen und vielleicht - so hat Lars es einmal ausgedrückt - sind wir deshalb alle noch am Leben und relativ gesund. Es gab Momente der Weichenstellung, die wir im Bandkollektiv einstimmig treffen mussten, und die wir kurzzeitig beklagt haben, weil es uns einen spannenden Impuls hätte geben können. Die vielen Konjunktive drücken hervorragend meine heutige Sicht auf die damalige Entscheidung aus. Ich bin froh, dass wir da sind, wo wir sind. Dass wir uns in die Augen sehen und miteinander Musik machen können. Und dass wir es wollen. Ab einem gewissen Alter - machen wir uns nichts vor - ist das großes Glück. So viele unserer Weggefährten haben aufgehört, spielen in Top 40-Coverbands oder bedröhnen Schützenfeste mit Bluesklassikern. Das soll nicht überheblich klingen, ich bin einfach nur glücklich. Wir leben gerade jetzt unsere Vision von wirklich unabhängiger Herzblutmusik so aus, wie wir es wollen.

Daran habe ich früher natürlich nie gedacht. Vor 24 Jahren habe ich die Sommerferien auf dem Bau verbracht, um mir endlich ein Schlagzeug zu kaufen. Eigentlich war es ein Schrotthaufen mit Schlagzeughintergrund. Ab es war meins. Heute weiß ich eh: teures Drumkit lohnt sich nicht, wenn man eine gewisse, ich sage mal energetische Art zu spielen hat. Diese Art habe ich heute perfektioniert und weiß einfach, dass alles kaputt geht, auseinanderfällt, zerbröselt. Der Preis spielt keine Rolle. Unserer ersten Band kam diese "Technik" gut zupass. Ein Wavepunk-Kellertrio namens Vanishing Line, welches weder die Absicht noch die Möglichkeit hatte, jemals vor Publikum zu spielen, welches sich nicht in unseren damaligen Proberaum, den Keller meiner Eltern verirrte.

 Unsere Motivation war eigentlich - neben dem Entdecken der Geheimnisse, die sich einem beim Versuch offenbaren mit im Prinzip unbeherrschbaren Instrumenten sinnvolle Klänge zu erzeugen - bei jeder Probe mindestens einen Kasten Weizenbier zu leeren, über Gott und die Welt zu philosophieren und bis in die Nacht Musikvideos von Joy Division, The Cure, Fields Of The Nephilim, AC/DC, Iron Maiden, The Mission, Sisters Of Mercy, Motörhead oder Metallica zu schauen. Wir waren unfassbar schlecht, natürlich. Aber hey, wir waren eine Band!

Die Band zerbrach natürlich. Nach ca. 1 1/2 Jahren. Nicht zuletzt an der kreativen Sackgasse in der wir uns zweifelsfrei befanden. Wir waren ein hermetisches System. Um uns weiterzuentwickeln brauchten wir definitiv Einflüsse von außen, andere Menschen, Musiker, die besser waren als wir und uns herausforderten. Diese fanden wir in der bunt zusammengewürfelten, eigentlich als Abiband gegründeten Truppe, die wir Friday Is Scrapped nannten. Dieser Prozess forderte das erste Opfer. 1 Drittel von Vanishing Line konnte diesen Schritt nicht mitvollziehen. Bis heute ein schmerzlicher Verlust, denn mit dem Ende meiner ersten Band, verlor ich unseren damaligen Basser komplett und unwiderruflich aus den Augen.

Der Bandname kam damals von Lars, neben Frank der Mensch mit dem ich seit Beginn von Friday Is Scrapped bis heute auch bei Porter eine Band - mein selbstgewähltes und geliebtes Schicksal - teile. Lars hatte das Gekritzel bei einem Toilettengang im Irish-Pub auf der Wand entziffert. Frank und Lars waren dann auch die Musiker, die damals bereits so klangen, als hätten sie mit ihren Gitarren schon seit Jahren geschlafen. Bei Lars stimmte dieser Eindruck dann auch. Und entweder man wächst an seinen Mitmusikern, oder man zerbricht und hört auf. Ich darf behaupten, wir sind gewachsen und haben damals das erste Mal zusammen so etwas wie wirkliches Songwriting entwickelt. War ich, der niemals Schlagzeugunterricht genommen hatte, zu Beginn des Waverock lastigen Projektes FIS noch überzeugt, eigentlich gar kein Schlagzeug spielen zu können, war ich schon 3 Monate später sicher, dass ich das, was ich da tat, egal auf welchem Level, mein Leben lang tun will und werde. Ich fand mich grottig, aber es machte einfach nur Spaß und ich bekam den Respekt, den man benötigt, um so etwas wie Selbstbewusstsein zu entwickeln. Und als Musiker ist das noch einmal etwas ganz anderes, denn Du gehst irgendwann auf eine Bühne und jeder der davor steht, ist Dein Richter. Dass mich das niemals, nicht ein einziges Mal belastet hat, ist auch das Verdienst, all derer, die mit mir die Bühne geteilt haben. Denn mit diesen Jungs und bei FIS auch Mädels, waren wir stets eine Einheit und im Prinzip kann uns diesbezüglich auch heute noch keiner was.

 Abgesehen davon, dass man mit 18, 19 Jahren in der Regel als Band ohnehin von einem recht großen, harten Kern an Freunden und Bekannten umgeben ist, der eine offene aber aktive und enthusiastische Clique (das Wort gab es damals) bildet und sowohl Proberaum, als auch jedes spätere Konzert zu einem Event (das Wort gab es damals nicht) werden lässt, kann ich meine Gefühle kaum in Worte fassen, die mich überrollten, durchströmten und für alle Zeiten abhängig machten, als wir unser aller allerersten Auftritt hatten. Nie zuvor stand einer von uns zuvor auf einer Bühne und unsere Sängerin schaffte es auch nur, nach zuvor nervositätsbedingt vollführtem Kotzen, aber als es passierte, war es etwas Magisches. Es war unsere Offenbarung, eine Art nun erst wirklich stattfindende künstlerische Geburt. Ich muss den ganzen Abend nach dem Gig eine Mischung aus ungläubigem Staunen und debilem Dauergrinsen auf dem Gesicht getragen haben. Ich wusste nur, das will ich noch mal, das will ich noch ganz oft, das will ich immer, immer wieder.

Auch diese Zeit hatte seine Höhen und Tiefen und auch diese Band zerbrach. Dieses mal merkten wir zum ersten mal, was diese ominösen musikalischen Differenzen bedeuten und anrichten können. Und auch wenn dieses Mal nicht direkt Menschen verschwanden, sich manche Beziehungen außerhalb der Musik sogar noch vertieften, blieb der harte Kern von FIS zusammen und formierte sich bereits 1992 unter dem Arbeitstitel Preacher Men neu. Musikalisch deutlich härter ausgerichtet, die düster-melancholische Seite jedoch weiter ausbauend, war es abermals Lars, der den dann endgültigen Namen Luzifer Sam - einen Titel auf der ersten Pink Floyd-Scheibe - anschleppte. Dass uns dieser Name natürlich auch Ärger und Vorurteile einbrachte war ja klar. Nach einem legendären, visionären und durchzechten Gründungsbandwochenende im November 1992 war klar, wir waren jung, wir waren willig der Musik den nötigen Platz einzuräumen und wir wollten raus.

Es dauerte nicht lange, da gingen wir wieder auf die Bühne. Und wie. In den Jahren 1993 - 1994 entwickelten wir uns zur professionellen und wahrhaft druckvollen Liveband. Unsere Nebelshows wurden schnell derart extrem, dass es kaum auffiel, wenn unsere Gitarrenmänner vorne von der Bühne zu kippen drohten oder ich während eines minutenlangen psychodelischen Solos nach hinten durch die Bühnentür kurz das WC aufsuchte und dann nahtlos wieder einstieg. Das alles hört sich jetzt vielleicht nach zu viel Alkohol auf der Bühne an. Richtig. Ab wartet Ihr mal 9 Stunden nach dem Soundcheck in einer Kabine auf Euren Auftritt wenn Ihr 22 Jahre alt seid. Ich gestehe, die Qualität der Musik hat in dieser Zeit mit Sicherheit etwas gelitten, aber die Shows haben es glaube ich mehr als wett gemacht. Wobei wir eher eine von den Bands waren, die weniger gesprungen, als vielmehr scheinbar statisch aufgestellt waren. Die Fields Shows haben unseren Sänger Holger (mein alter Freund und Vanishing Line Sänger) geprägt, Pink Floyd meine Gitarristen. 1993 nahmen wir dann in Hagen unser allererstes offizielles Demo "A Failed Effort To Putsch" auf. Und verschickten es auf Kassette. Heute frage ich mich, wie das alles ging ohne Internet. Aber ... es ging.

Das Liebesleben von Frank spülte uns 1994 einen 5. Mann an Bord. Till, der wahrhaft verrückte Till befreite Holger vom Bass, der sich so auf seinen Gesang und auch eine gewisse Theatralik konzentrieren konnte, und sorgte auch menschlich für reichlich Schwung in der Band. Holger wurde so via Metalpresse zum "Pavarotti der deutschen Metalszene" und Till zum unersetzlichen Spaßschwungrad von Luzifer Sam. Wir spielten hier und da und überall und plötzlich stand da ein bekannter Metal-Gitarrist und bot uns an, die Band unter Vertrag zu nehmen und zu produzieren. Und was macht man da als junge Band? Man findet das überirdisch geil und unterschreibt einen Vertrag.

Dieser führt 1995 zu unserem ersten wirklichen Album "Alice Dee", welches uns zum ersten Mal vor Augen führte, dass wir da nun wirklich in dieses Musik Business geraten waren, von dem wir so viel gehört hatten. Verdammt gute Rezensionen in Musikmagazinen folgten und wir begannen zu verstehen, dass da draußen Menschen waren, die das was wir als unsere Profession, als großen Spaß ansahen, wirklich mochten. Wozu es nicht führte war, dass wir vernünftiger, partyuntauglicher oder weiser wurden. Und so gigten wir weiter durch die Clubs und erfolgreiche Headlinernächte wie im Ringlokschuppen in Mülheim oder der Kulturfabrik in Luxemburg, aber auch die wundervollsten Misserfolge im Castrop-Rauxeler Spektrum vor 2 nichtzahlenden Zuschauern von der Presse, genauso wie die wundervollsten Independent-Kontakte zu szenewichtigen Fanzinemachern, prägten diese genialen Jahre, die wiederum uns - vielleicht sogar noch bis heute - prägten.

1997 folgte das Album "Luzidity", welches ebenfalls gigantische Kritiken erntete und uns ebenfalls megastolz machte, jedoch genau wie der Vorgänger "Alice Dee" viel zu sehr von den Vorstellungen unseres Produzenten und Labelchefs geprägt war, als dem nahe zu kommen, was wir live auf die Bühne brachten. Auch diese Erfahrungen leiten uns sogar mich heute bei den Aufnahmen zu Porters "Wolkenstein", wo wir endlich das umsetzen, was wir umsetzen wollen - ohne Produzent und ohne Anleitung zum Erfolg. Man darf nun nicht glauben, dass die Luzifer Sam Alben schlecht oder gar sehr zugänglich und kommerziell waren, im Gegenteil, aber heute machen wir - auch dank der damaligen Erfahrungen - schon zu einem Maximum unser Ding.

1998 machten wir das irgendwie auch, doch kam uns da das in die Quere, was den Meisten zum Verhängnis wird. Das Erwachsenenleben. Holger war als erster fertig mit dem Studium und sah sich nicht mehr in der Lage, derart zu proben, wie wir es hätten tun müssen, um das Ganze auf das nächste Level zu bringen, kurz die nötige Zeit für die Band aufzubringen. Als Holgers bester Freund in der Band traf mich das damals mehr als hart. Immerhin machten wir zu diesem Zeitpunkt bereits seit 10 Jahren Musik zusammen und teilten eine sehr enge private gemeinsame Geschichte. Luzifer Sam zerbrach. Und das hätte es eigentlich sein können damals, was meine musikalische Vita angeht.

Wären da nicht Frank und Lars gewesen, die irgendwie genau wie ich eigentlich nicht aufhören wollten, Musik zu machen. Till entschied sich damals ebenfalls dazu, den Bass an den Nagel zu hängen und so saßen wir da. Zwei Gitarren und ein Schlagzeug. Eines war klar, wir wollten unseren Stil ändern. Weg von dem ganz düsteren und epischen Zeug, hin zu kürzeren rockigeren Songs. Aber wenn man mal ehrlich ist, kann man so etwas eh nie planen. Songs stecken in einem und kommen raus. Punkt.

Dank Nogger, einem Freund von Frank, war der Bass schnell besetzt und auch ein Sänger war per Aushang schnell gefunden. Zack, Demo aufgenommen, uuuund Sänger weg. Neuer Aushang, neuer Sänger, neues Demo aufgenommen, uuuund Sänger weg. Wir schienen gefangen in einer echt bescheuerten Schleife. Immerhin hatten wir einen Namen:

Porter.

Doch dann ging alles ganz schnell, Nogger zog um, und Volker kam. Den bekloppten Basser kannten wir aus Luzifer Sam Tagen noch von vielen gemeinsamen Auftritten und Lars half zeitweise in dessen ehemaligen Band Body Lost Its Size aus. Volker kam und passte! Punkt. Dann schloss sich eine Phase des kaugummiartigen Castings an, um einen Sänger zu finden mit den skurrilsten Erlebnissen, die - ich kürze gaaaanz kurz ab - mit Christian abrupt beendet wurde und uns zu der Formation brachte, die wir heute sind.
Das Irre ist, dass wir alle, die wir heute Porter sind - ich erwähnte das eingangs - bei allem was uns allen in den letzten 20 Jahren passiert ist, noch niemals so lange in einer Band spielten, wie bei Porter. Und auch wenn Volker zur Zeit wieder mit unserem Freund, Mischer und Studiobesitzer Frank, seine Speedmetalband Shurrican reanimiert, wissen wir glaube ich alle, dass wir genau diese Band, dass wir Porter zusammen zu Ende bringen werden.

Das soll nicht mehr und nicht weniger bedeuten, dass wir 5, Christian, Frank, Lars, Volker und ich, das wir auf alle Zeiten Porter sein werden. Sollte hier jemand nicht mehr dabei sein können, wäre das das Ende von Porter. Aber: ich glaube wir stehen seit 2011, seit der EP "Damocles", gerade erst an Anfang unseres wirklichen Lebens mit Porter.

Und wenn das alles eine Moral haben sollte, dann definitiv die, dass Ihr alle dort draußen, die Ihr eine Band habt oder eine Band haben wollt, diese niemals aufgeben solltet. Die Möglichkeit zu haben, Musik zu machen die man liebt, mit Menschen, die man verdammt noch mal auch liebt, ist so verdammt wertvoll. Das merkt man allzu oft erst, wenn es vorbei ist.

Ich liebe das was ich tue.
Und Ihr habt Euch nun durch diesen wirklich langen Text gequält und wahrlich verdient etwas Schönes zu tun.

Ich bedanke mich.
Euer Markus.


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Poesiüberdruck

Honigwabernde Nebel
     bedecken die Abflussauen
          gülden geneckter Morgentausendschöns.

Es lebe der Unterschied - eine Stressologie

Stress. Was ist Stress für Euch?

Seid Ihr gestresst von pausenlosem Dauerfeuer digitaler Medien, welches Ihr in vorauseilendem Gehorsam an tausende digitaler Freunde mit beinahe ebenso digitaler Vehemenz erwidern zu müssen glaubt?

Stresst Euch der im Grunde doch spannende und Euch sicher ernährende Job, mit seinen zyklisch in ähnlicher Weise wiederkehrenden Problemstellungen, für deren Lösung Ihr trotz allen professionellen Engagements dank immer alberner und kürzer werdender Zeitintervalle kaum mehr Energie findet?

Bedeutet Stress für Euch Euer übermotorisiertes Vehikel im Schneckentempo durch zäh wabernde Massen kaum mobil zu nennender urbaner Verkehrsstauseen zu lenken, während Euch der Mann zur linken genauso ankotzt, wie die Frau zur rechten?

Steigt Euer Stresspegel haudenlukasgleich wenn sich musikalisch motivierte Geräuschpegel unaufhaltsam den direkten Weg in Euer Kleinhirn freibohren und dort tropfsteinhöhlenartig auf das Endloseste verhallen?

Könnte der Stress nicht größer sein, wenn die eigentlich von Euch sehr geliebte Familie sich anschickt, heute einfach mal alles anders zu sehen, zu wollen und zu machen, als Ihr?

Übermannt Euch der Stress vielleicht gerade dann, wenn Ihr einmal richtig ausspannen könntet und Ihr Euch vor lauter unglaublich mannigfaltiger Möglichkeiten zur Entspannung einfach nicht entscheiden könnt, welche Option Euch wirkliches Durchatmen verheißen ließe?

In all diesen und wahrscheinlich noch viel mehr Fällen hilft eigentlich nur eins. Hört auf Euren Bauch. Und schreibt niemandem vor, wie er sich am besten zu entspannen hat. Für den einen ist Chilloutmusik beruhigend, der andere mutiert umgehend zum enthemmten Axtmörder. Manche sehen Twitter als tödlichsten aller Zeitkiller, andere schalten gänzlich ab und fühlen sich frei. Viele gehen in ihrer Arbeit erst so richtig auf, andere unweigerlich unter. Manche schauen auf das Meer und sind zuhause, andere bekommen Selbstmordgedanken.

Leben und leben lassen scheint auch hier wieder die einzige Lösung. Dazu gehört aber auch unbedingt, dass man ehrlich, sehr ehrlich zu sich selber ist. Und das kann anfangs auch durchaus hart sein. Aber oftmals bekommt man am Ende von sich selbst die ehrlichsten Antworten und hernach ein streitbares Schutzschild.

Also, Stress. Was ist Stress für Euch?
Vielleicht gar nicht mehr so wichtig ...


While a nation sleeps ...

Das neue Album von Boysetsfire.
"More than machinery, we need humanity!"

Wie lange musste ich auf dieses neue Werk warten. Alle Voränger haben seit dem Debutalbum immer wieder neuen Appetit geweckt auf mehr, viel mehr Musik von dieser Ausnahmeband. Das letzte erst Recht. Erschien "The Misery Index" immerhin bereits 2006 und mauserte sich recht schnell zu meinem Lieblingsalbum aller Zeiten, musste ich die Zeit der Auflösung, der neuen Projekte und der glücklicherweise geschehenen Wiedervereinigung darben, bis ich gestern am 7.6.2013 endlich das neue BSF-Machwerk in den Händen halten durfte.

Klar gab es hier und da einen Song vorab zu hören und auch dank einiger Interviews legte ich mir bereits meine Erwartungen zurecht. Aber alles kommt ja eh immer anders als man gemeinhin denkt. Und so war ich dann doch nervös wie ein Teeny, dessen Lieblingskünstler etwas Neues herausbringt. Um es der Spannungsvernichtung halber vorweg zu nehmen: ich wurde kein Bisschen enttäuscht.

Bereits im ersten Song schreit mich Herr Gray an, als müsste er nur noch diesen Song singen und seine Stimme danach wegwerfen. Ich bin sofort drin. Die Nervosität ist weg, dafür strahlen meine Augen, die Härchen auf meinen Armen stellen sich auf, ich greife zum Booklet und grinse wahrscheinlich reichlich debil.
Während sich die durch George Bushs reaktionäre Gesetzgebung nach 9/11 kurzzeitig politisierte Spaßpunkszene um Green Day und Konsorten inzwischen wieder auf Liebeslieder zurückgezogen hat, prangt nicht nur auf der Boysetsfire Website der Zusatz "Political Post-Harcore". Nein, dieser Anspruch trieft aus jedem der 13 neuen Songs, Nathan Gray schreit seine, leider immer noch aktuelle Forderung nach freier Meinungsäußerung und der Gleichberechtigung aller, dem geneigten Hörer wie eine wütende Vernichtungsmaschine entgegen. Nicht hinnehmen wollend, dass sich die vermeidlich freien Gesellschaften eben dieser Freiheit Schritt für Schritt berauben lassen, dass sich religiöse Eiferer gleich welcher Couleur missionarisch in der Mitte der Gesellschaft breit machen, anstatt ihre Neigung für sich auszuleben, dass Rechtsstaaten Menschenrechte mit Füßen treten und damit ihre eigene Überzeugung verraten und ihre Legitimation aufs Spiel setzen, schafft er es, dass sogar die ruhigeren Songs in ein Fahrwasser geraten, dass von wütender Rebellion und durch Aufklärung genährter Aufruhr durchdrungen sind.

Boysetsfire 2013 sind nach wie vor eine Macht. Die Musik wird wie seit den ersten Songs getragen von der explosiven Mischung aus Melancholie und Aggression, wirft einen in eine oftmals nicht zu gewinnende Schlacht gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit, jedoch ohne jemals die in jedem Fall mitschwingende Hoffnung zu verlieren. Die Parole ist glasklar. Wir werden vielleicht verlieren, vielleicht sogar alles, aber das bekommen sie nicht kampflos. Und wer weiß, vielleicht, wenn wir doch einfach mal alle zusammenhalten würden, vielleicht können wir ja doch alles zum Guten ändern. Und so werden sie wieder hochgehalten, die klassischen Tugenden des politischen Hardcore, an Werte wie Gleichheit, Menschenrechte und Zusammenhalt und vor allem an die Möglichkeit zur Selbstbestimmung zu glauben und diese unter keinen Umständen zu verraten. Dem kleinen Mann, dem Unterdrückten eine Stimme zu geben.

Flirtete das 2006er Album noch offen mit Kitsch und Popappeal, machte sogar Trompeten und Streicher für den Hardcore salonfähig, so geht "While a nation sleeps" wieder ein paar Schritte vorwärts im Härtegrad. Speziell der Gesang dürfte auf keinem BSF-Album so schungslos an die Grenzen gehen. Es gibt aber auch einfach Zeilen, die müssen voller Verzweiflung geschrien werden. Und so ist auch das neue Werk der Hardcoreurgesteine voller noch immer gültiger und wichtiger Arschtritte für alle Zufriedenen und Sedierten.

"This is where I will stand, and here is where I will stay until my last breath, until my dying Day, cause we have nothing to lose, no reason to hide, no hope for tomorrow, if not for tonight, hold your ground and fight, let this moment never fade away, I believe our lives are still worth fighting for, we are free as long as we demand to be."

Hier ist eine Band am Werk, die es kurzzeitig und sogar auf dem Höhepunkt ihres Schaffens zerrissen hatte. Eine Band die sich wiederzusammenfand, weil es eben doch noch etwas zu sagen gibt. Und die gemerkt hat, dass man es auch mit einer Institution wie BSF locker angehen lassen kann, zuerst kommt das Leben dann die Kunst. Aber was wäre das Leben ohne Kunst. Und selbst, wenn Kunst das Leben vielleicht nicht ändern kann, so kann, so muss sie es wenigstens versuchen.

"Your Symbols are stolen, your words are nothing new, bleed with pride for your masters, you weak pathetic fool, fuck your prophets, fuck your holy war, fuck your laws, fuck what you kill for!"

Boysetsfire sind zurück und ich bin glücklich!

Und hier findet Ihr ein wunderbares "Track-by-Track"-Video in dem BSF jeden Song besprechen.



Offizielle Boysetsfire-Homepage