August-Pamphlet Teil 1

Ich denke, glaube, bin im Ernst überzeugt zu wissen, dass es unter allen kreativen Menschen auf der, sich den Luxus um so etwas Nebensächliches, da nicht vordergründig  Lebenserhaltendes kümmern zu könnenden, Welt einen wesentlichen Teil – bestimmt gut die Hälfte – gibt, die essentiell arbeitsscheu sind. Und ich spreche hier nicht von Architekten, Werbern, sonstwie gedacht oder gewollt Gebrauchskreativen, die sich das Leben mit dem existenziellen Zwang zur Hölle machen, einem tumben und nicht ansatzweise nach Genius verlangenden mobartigen Markt, verkaufsfertige Ideen liefern zu müssen. Es geht mir nicht im Entferntesten um jene, die ihr Geld, ihren Lebensunterhalt mit dem Generieren von Ideen verdienen, die man in Perfektion zum Ankurbeln der regionalen, nationalen, globalen, ja von mir aus dereinst multiplanetaren Geldmaschinerie  nutzen und missbrauchen kann.

Ich möchte eine zittrige, aber aufrechte Lanze brechen, für jene Freigeister, die im fahlen Zwielicht einer flitterigen RGB-zerschredderten Dokusoap auf schmuddelig abartigen Sendern, welche den Erstgenannten ihren Lebensunterhalt auf gleich zweierlei Arten erhalten, nur unzureichend und milieugerecht beleuchtet werden.

Wie oft wird der, wider besseren Wissens, hässlich verliftete Mundrest – so weit noch möglich – art- und standesgerecht verzogen, über diejenigen, die an der eigenen Wand zum über Umwege bezahlten Hängen gekommen sind. Wieviele Menschen schmücken sich, niemals vorhandenes Wissen und einen niemals zu erreichenden kulturellen Stand vortäuschend, verbale Dissonanzen nicht nur erzeugend, sondern auch mangels Gegenwehr enervierend und über seines Gleichen multiplizierend in die Welt tragend, mit der persönlichen Bekanntschaft dieses unfassbaren Genies, welches der Kunstwelt doch ach so viel zu geben habe, sich selber jedoch niemals von seiner eigenen, schicksalsbehafteten und somit kunststiftenden Biografie wird lösen können. Die Tragödie einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung ist nach wie vor einer der besten Aufhänger für nicht weiter das Ego belangende Gespräche in einer Gesellschaft, die nichts Höheres gelernt, nichts Geileres kennen gelernt hat, als das monumentale, totale, persönliche Scheitern eines Individuums zum höchsten Gut zu stilisieren. Was gibt es Schöneres, Erbauenderes und vor Allem Sichereres, als einem anderen aus sicherer Entfernung zuzusehen, als zu applaudieren, dem beinahe beneidenswerten, da in naher Zukunft berühmten, im Optimalfall sogar unsterblichen Delinquenten gar in gespielt devoter Zuneigung zu huldigen, wie sich dieser in hilfloser Agonie seines schlicht um Existenz bemühten Tuns abrackert, seine Profession in Übereinstimmung mit einer adäquaten
Überlebensart zu bekommen.

Maler, Zeichner, Schriftsteller, Musiker, Bildhauer – alle sich selbst Ausdrückenden, Ihr Innerstes zu Äußerst Kehrenden, ihrem ganz persönlichen Drang nach Ausdruck ihrer noch viel persönlicheren Freiheit und Gefühle Strebenden – alle Künstler im Wortsinne, welchen unsere Gesellschaft durchaus diesen scheinbar privilegierten Namen - man muss sagen diesen vorsätzlich erhabenen Status – in ihrer ureigensten Gnade und Großzügigkeit zugesteht, sind hier auf eine Art, einem gefühlten Stand vereint, der sowohl ihren bipolaren Status in einer schizophrenen Gesellschaft, die zwar der sie dokumentierenden und kritisierenden Kunst bedarf, nach ihr als bleibendes und erhebendes Element dürstet, aber genau so viel Abstand von ihr nimmt, wie die Norm es gebietet, um die Kunst erst als Kunst anerkennen zu können, als auch ihre Protagonisten in einer Art verdammt und gleichzeitig voyeuristisch, absolut um ihre vermeidlichen Freiheiten beneidend beobachtet,    
dass ein in diesem bürgerlichen Umfeld normales Leben – nach dem auch Künstler mitunter dürsten – kaum oder gar nicht mehr möglich ist.

Paradoxerweise bin ich überzeugt davon, dass es eben nicht die Tatsache des Ausgestoßenwerdens ist, die Künstler in Scharen zu Anhängigen von Drogen unterschiedlicher Couleur macht – nebenbei für die Gesellschaft in ihrer Masse erwähnt, nicht ansatzweise zu verwechseln mit Abhängigen. Der anerkannte oder selbstbestimmte Pariah kann bestens ohne Drogen auskommen, hat er doch die Anerkennung der Massen, kritisch oder schlicht konsumierend – wobei erfahrungsgemäß erstere elitär-schwachsinniger, letztere breiter aber nicht weniger schwachsinnig, wenigstens in Bezug auf Kunst ist.

Es ist die anfänglich genannte Scheu vor Arbeit.
In der Tat hat wohl jeder kreative Geist unendliche viele kreative Ideen. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute. Quasi immer.

Kaum eine – immer auf die Masse gesehen (die mitunter auch aus 3 meinungsbildenden Kritikern bestehen kann) – dieser Ideen wird jedoch tatsächlich genutzt, soll heißen umgesetzt, verarbeitet, verwirklicht, erlebbar gemacht. Kein wahrhaft kritischer, insbesondere selbstkritischer – und mit den Mindestanforderungen an einen reflektierenden Menschen gesegneter, unabhängiger Geist, wird beispielsweise einem lediglich von Geltungssucht, gepaart mit einem übersteigerten Ego und der nachvollziehbaren Tendenz zum eigenen Überleben mittels Einsatz seiner beschränkten Mittel getriebenen „Künstler“ wie Jonathan Meese unterstellen, an einem Übermaß an Inspiration oder Wahrhaftigkeit zu leiden. Hier muss nichts raus. Hier will ein Individuum überleben, hat verstanden, wie man es wahrnimmt und spielt das Spiel mit. Und das funktioniert wunderbar. Das Individuum lebt, die Idee ist tot, oder auch niemals in die Reichweite einer Geburt geraten.

Der Künstlertypus über den ich hier spreche, ist von einer ganz anderen, durch und durch triebgesteuerten Art. Ihm wohnt eine Fähigkeit – welcher Ausdrucksart, welcher Kunstform sie auch immer sei –  inne, gepaart mit der unbändigen Lust diese ausdrucksstark auszuleben; sich nicht durch den ungezügelten Ausdruck seines Schaffens ein sorgenfreies Leben in finanzieller Unabhängigkeit zu verschaffen, sondern schlicht zu überleben, indem er sich ausdrückt; die Barriere zwischen der permanenten – und ich meine permanenten im Sinne von immerzu existenten und drängenden – Gedanken- und Ideenebene zu überwinden; die eigene Faulheit in den Schatten zu stellen.

Und genau an diesem Punkt kommen die – wie auch immer gearteten – Drogen ins Spiel. Fälschlicherweise ist die allgemeine Wahrnehmung, dass Musiker, Maler, Künstler im Allgemeinen zu Drogen tendieren, weil sie den Kick bräuchten, die Visionen, die körperfremde Substanzen ihnen erst ermöglichen. Ich behaupte reinen Gewissens und freien Herzens, etwas anderes. Die meisten Getriebenen, die Majorität der Künstler – so wie wir sie bezeichnen, kategorisieren und abstempeln würden – wie ich sie kenne, braucht und benutzt die Drogen, sei es schlicht und im überwiegenden Maße der Alkohol, als auch Gras oder im seltensten Falle Schlimmeres, für genau einen Schritt. Nicht um Ideen zu finden – was zumeist ein völlig schwachsinniger Weg ist. Nicht um sich von seiner Umwelt abzugrenzen oder gar in andere Sphären abzutauchen. Es ist um ein Vielfaches simpler, pragmatischer und entmystifizierender:
Die meisten Künstler benutzen die Drogen, um anzufangen zu arbeiten. 
Um den ersten Schritt zu machen, mitunter belanglose Vorarbeiten zu beginnen.
Um das oft wahrhaft langsame Vorkommen spannender, lustvoller zu gestalten, die eigentliche Arbeit im Wortsinn vorzubereiten und in handwerklichem Sinne den Grundstein für das große Ergebnis zu legen.

Eben: Um den Schritt vom schlichten, ungreifbaren Gedanken – den wir alle, alle, alle – ständig und immerzu haben, mit uns führen, weiter denken und schlussendlich zumeist verwerfen – umzusetzen. In eben jenes großartige Kunstwerk, welches viele von uns erdenken – ungedacht der zweifelsfrei nötigen  aber durchaus mitunter auch anzuerlernenden Fähigkeiten – aber nur wenige in die Tat umsetzten.

Reprise von derherrgott - 23. September 2009

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