Weihnachten, mein Vater und warum die Ramones mich glücklich machen
Diese Nacht ist heilig, so sagt man. So glaubt man.
Und ich muss sagen, auch aus heutiger, erwachsener Sicht als lupenreiner Atheist (und ich möchte das lupenrein hier nicht in Gerhard Schröders pervertiertem Sinne verstanden wissen) ist sie etwas Besonderes, diese Nacht. Ich denke, das liegt daran, dass für einen kleinen Moment die Welt ein wenig zur Besinnung kommt. Sei es in Form überkitschter Traditionstümelei, sei es ein religiöses Zeremoniell, sei es das Zusammensitzen bei Speis und Trank, sei es ein Insichgehen, sei es etwas ganz anderes - eines ist jedoch irgendwie überall zu spüren: Diese Nacht ist anders als all die anderen Nächte.
Aber auch die frühen Kindheitserinnerungen - in meinem Fall ausnahmslos gute, möchte man heutzutage beinahe schlechten Gewissens hinzufügen - tragen ihr gerüttelt Maß hierzu bei.
Bei mir ist es schlicht die Erinnerung - und hier sind es zumeist die lieben, die geliebten Menschen, mit denen man diesen heiligen Abend, überhaupt das gesamte Weihnachtsfest hindurch verbringen durfte und noch immer darf und in Zukunft wird verbringen dürfen - oder auch eben nicht.
Nichts gegen diese Momente, die ich immer schon genoss: an diesem Tag ein paar Takte der derzeitigen Lieblingsmusik zu hören. Musik, die man auch an anderen Tagen hört, deren Noten jedoch seltsamerweise an diesem einen Tag so anders, so besonders klingen und eben für alle folgenden Jahre als besonders empfunden hängen bleiben werden - die Ramones mit dem für mich wohl bis in alle Ewigkeit so sakral klingenden, ganz persönlichen „Weihnachtslied“ „Something To Believe In“. Alice Cooper mit dem inzwischen etwa 40 Jahre alten „Coming Home“. Helloween seltsamerweise mit dem Thrashmetalkiller „Gorgar“.
Aber: dieses Erlebnis, diese Momente wären mir wohl kaum bewusst geworden, ohne die Menschen, die mir das Besondere zu vermitteln in der Lage waren. Und wieder meine ich es hier in feinster Weise religiös.
Früher, also meine ersten noch verfügbaren Erinnerungen an Heiligabend, an Weihnachten betreffend, war es irgendwie das Gefühl totaler Geborgenheit. Das ganze Drumherum, also viele Menschen, natürlich auch ungeliebte Verwandte, ein unglaublich faszinierender Weihnachtsbaum, logischerweise Geschenke, aber - und das war damals schon so - diese ganz eigene Magie, die natürlich von meinen Eltern künstlich, aber genial überzeugend aufgebaut wurde. Klar waren Geschenke wichtig und ich habe mich über alles wie irre gefreut, aber vom Gefühl her war es die Tatsache, dass alle zusammen saßen und niemand irgend etwas anderes vorhatte.
Dann als Heranwachsender, gerieten die Geschenke immer mehr in den Fokus des Interesses, keine Frage. Aber das Gefühl, dass alle zusammen ein Spiel spielten, empfinde ich noch heute als das Element, welches ich in dieser Zeit am meisten genoss.
Später, als „reifer“ Teenager (hüstel) war es anders, natürlich. Dieses Gefühl, sich über etwas beinahe Unumstößliches hinwegzusetzen, wenn man den Vormittag über in seiner Stammkneipe mehr als vorglühte, um dann dem tradierten Teil des Festes recht angeschickert beizuwohnen, war irgendwie der nötige Freischwimmer-Ausweis, um genau das gleiche Fest nur ein paar Jahre später wieder genießen zu können. Menschen sind seltsam. Ich bin es auch.
Irgendwie ist das Weihnachtsfest, dieser heilige Abend, ein untrüglicher Indikator dafür, dass Menschen, geliebte Menschen älter werden - spannender Weise spielt das eigene Altern bei mir hier so gut wie keine Rolle. Fehlen mir auch zwischendurch ein paar Facetten, Schritte, Etappen wie Menschen in den einzelnen Jahren so waren, stelle ich sie mir an Heiligabend vor, weiß ich ziemlich genau, wer wann was durch gemacht hat. Ich denke, mein Heiligabend ist so eine Art Zeitbremsklotz.
Eigentlich, und das ist mir nicht erst an diesem Heiligabend, in dieser heiligen Nacht bewusst, fehlt mir gerade jetzt - und das extrem und sehr explizit - mein verstorbener Vater, der mich noch vor 4 Jahren mit seiner wundervollen Art und als großer Melancholiker zu Weihnachten darauf aufmerksam machte, dass es im Leben immer Rückschläge gibt, dass nicht immer alles so wird, wie man es sich dann doch im Grunde wünscht, dass es aber doch jeder einzelne Moment wert ist - dass das Leben es wert ist. Ich habe so viel von ihm gelernt, ich trage so viel von ihm in mir, und ich muss sagen, ja, an diesen heiligen Abenden bricht es dann wieder hervor. Da ist er wieder so präsent, als säße er hier mit uns am Tisch. Er hat niemals mit mir Helloweens „Gorgar“ gehört, er kannte die Ramones und Alice Cooper nicht einmal, er hätte es auch rein musikalisch nicht verstanden. Aber - und eigentlich zählt nur das - er hat immer gewollt, dass ich höre, was ich mag, weil ich es liebe. Er hat gewollt, dass es mir gut geht, dass ich tue was ich liebe. Vielleicht ist Liebe hier auch einfach das Stichwort.
Er hat mit seiner Art seinen so lange ich lebe niemals verschwindenden Beitrag dazu geleistet, dass ich Weihnachten als etwas Besonderes, etwas Schönes empfinden und erleben kann. Er war nie gläubig, er hat es aber auch niemandem jemals ausreden wollen, der es war. Und so kommen mir bei den Gedanken über meinen Vater auch all die wahrhaft bigotten Diskussionen in den Sinn, die man hier und dort hören muss, ob denn „Ungläubige“ wie ich Weihnachten feiern dürfen, oder ob denn Moslems einen Weihnachtsbaum haben dürfen, all die Diskussionen, die Menschen von etwas ab- und ausgrenzen wollen.
Mein Vater ist als Kind in Zeiten des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen. Als Menschen an der politischen Macht wahren, die aus dem Ausgrenzen, der Angst vor Fremdem eine Staatsraison gemacht haben. Und wenn nun ich, immer noch Atheist, gerade jetzt - ausgerechnet zu Weihnachten - die marschierende Angst der Ungebildeten und Rückwärtsgerichteten auf unseren Straßen sehen muss, die den Hass und die blanke, irrationale Angst vor Fremden auf Plakaten vor sich hertragen, schäme ich mich ein klein wenig vor ihm. Er würde den Kopf schütteln, von den Zeiten seiner Kindheit reden, und davon, dass man gerade als Kind einer solchen Inszenierung natürlich auch aufsitzen könne, aber dass es für derartige Hetztiraden von Erwachsenen gegen Menschen, die flüchten müssen, gegen „Fremde“, gegen Minderheiten keine Entschuldigungen gebe. Recht hätte er. Recht hatte er.
Und bei all dem denke ich: Ihr Spießer, Ihr Intoleranten, all Ihr Hasser, Ihr Vorschriftenmacher, Ihr „wahren“ Werteverteidiger - vielleicht gibt es einen Grund oder einen Auslöser in Eurer Kindheit, Eurer Biografie, die Euch das Hassen gelehrt hat, die es Euch leicht macht, Eure Parolen zu schwingen. Aber als Kind der Freiheit, und als solches werde ich mich Zeit meines Lebens empfinden, kann ich Euch, gerade in dieser einen Nacht, die mich melancholisch stimmt, aber auch aufbringt, gegen jedwedes Gedankengut, welches die Rechte, das Glück, die Lebensqualität von anders Denkenden beschränkt, nur sagen:
Kümmert Euch um Euch selbst, kommt klar mit was auch immer Euch an einem glücklichen Leben hindert, werdet aktiv. Aber tut es für Euch - nicht gegen jemanden.
Ansonsten kommt es für Euch ohnehin so, wie im Helloween-Song: „Gorgar will eat you!“ - Und das wollt Ihr nicht.
Ich freue mich für jeden von Euch von Herzen, der, die oder das es schafft glücklich zu sein.
Habt eine wundervolle Weihnachtszeit und einen Guten Rutsch.