Nevermind - heilige Kühe und der eigene Geschmack

Ist richtig. Es gibt ein paar heilige Kühe über deren Existenz zu streiten sinnlos wäre.

Eine davon, die mich seit nunmehr 20 Jahren sabbernd verfolgt, ist der musikkulturelle Mythos "meiner Generation", wie es so schön heißt, "Nevermind" von Nirvana. Und über den muss ich mich nun dennoch einfach einmal streiten.

Seit Ewigkeiten muss ich alle Jahre wieder in den unterschiedlichsten Musikgazetten von den 50 oder 100 Platten für die Ewigkeit lesen. Musikjournalisten erzählen mir also beständig, welche Platten die größte Relevanz in der Musikgeschichte einnehmen, und setzen das spannenderweise direkt gleich mit dem Empfinden, der Einstellung, welche eine ganze Generation zu gewissen Platten haben soll. Also auch ich.

Bekloppt. Nur weil ich in einem Jahr geboren und in einem anderen musikalisch sozialisiert wurde, soll ich eine formatierte Meinung einnehmen, ja gleichgeschaltete Gefühle zur Musik, einer der subjektivsten Formen der Kunst überhaupt empfinden?

Ja. Ich gehöre natürlich zu denen, die genau wissen, wann und wo sie "Smells like teen spirit" zum ersten mal gehört haben. Ja. Ich war damals geflasht von dem Song und dem auf der Stelle erworbenen Album. Ja. Ich weiß um die musikhistorische Bedeutung dieses Albums und erkenne sie uneingeschränkt an. Aber da hört es dann auch schon auf mit Plattitüden und Gemeinsamkeiten mit dem steten Jubel über diese Aufnahmen. 

Zum einen weiß ich um sehr viele Alben vor "Nevermind", die musikalisch genau diese umstürzlerische Wirkung hätten erzielen, diesen Status damit erreichen und anstelle von Nirvana ihren Schöpfer hätten groß machen können, wenn sie einen Wirkungsfrontmann wie Kurt gehabt hätten. Zum anderen gab es "damals" rein musikalisch mannigfaltige Bewegungen, die dem Glamrock, dem Hairmetal, dem Classicrock und anderen gekünstelten Musikrichtungen schon längst den Kampf angesagt, und den Rang abgelaufen hatten. Nur waren die Protagonisten der besagten Bands zugegebenermaßen nicht wirklich tauglich für die präinternetären popkulturellen Presseerzeugnisse. Die Zeit war perfekt für einen von Selbstzweifeln geplagten jungen Mann, der in seinem Flanellhemd doch soviel ehrlicher daher kam, als die geschminkten Westküstenposer mit ihren wasserstoffblonden Königspudeldauerwellen.



Dummerweise kannte ich das grundsätzliche Prinzip bereits von Herrn Morrisson oder Herrn Lynott. Beide endeten tragisch und so war auch Cobains Tod absehbar. Und wie immer trug er zur Vollendung des Mythos auf traurige Art bei. 

Um es noch einmal klar zu stellen: ich mag und schätze "Nevermind" als wirklich tolle Platte, die einer Menge großartiger Musik das Tor in den Mainstream weit aufgestoßen hat. Ohne Nirvana, Pearl Jam und Soundgarden, wären die 90er im Formatradio vermutlich wesentlich rockärmer verlaufen. Ich habe nur eben eine Vielzahl anderer Platten, die ich in einem persönlichen Ranking definitiv vor diese eine schieben muss. Mein Leben hat diese Scheibe trotz all ihrer kleinen Perlen eben nicht verändert. Ist ja sehr persönlich. Spannend ist nun, dass ich alleine für diese Aussage im Freundeskreis immer angesehen werde, als hätte ich auf dem Altar gerade Jesus verraten. Ähnlich ergeht es mir, wenn ich - bekennender Dave Grohl-Fan - sage, dass das Beste, das Dave Grohl künstlerisch passieren konnte, das - leider tragische - Ende von Nirvana war. 

Da fragt man sich halt schon, warum man derart angefeindet wird. Tocotronic sangen nur wenige Jahre nach "Nevermind" das schöne Lied "Es ist einfach Rockmusik". Und selten war ein Lied ehrlicher. Es war und es ist einfach Rockmusik. Klar, für mich persönlich bedeutet Musik, speziell die Rockmusik in all ihren, oftmals bis in die totale Spießigkeit konkurrierenden Spielarten hinein, alles. Ich kann aber unglaublich gut damit leben, dass es anderen schlicht egal ist. Denn genau das ist mir egal. 

Mich bereichert, was mich erbaut, nicht was andere goutieren. 

Und so ist es mit "Nevermind". Ich mag es sehr, wenn ich einen Song davon zufällig höre, aber ich kann mich nicht erinnern, wann ich die CD zuletzt aufgelegt habe. Das Fazit kann hier also eigentlich nur sein, dass jeder seine eigenen Platten für die Ewigkeit im Herzen trägt. Oder eben nicht. Das Wundervolle daran ist, es ist egal für alle anderen, aber es ist die Welt für Dich. Ich denke, Kurt würde mir hier zustimmen.

In diesem Sinne, auf Dich!